Für ein erfolgreiches Berufsleben sind Weiterbildungen von grosser Bedeutung. Doch viele Angebote sind wenig geeignet für blinde und sehbehinderte Menschen. Eine breit aufgestellte Gruppe diskutierte an einem Workshop von TSF darüber, wie der Zugang verbessert werden kann.
Es war eine bunt gemischte Gruppe, die Ende November in Trimbach bei Olten zusammenkam: Vertreterinnen und Vertreter von Bildungsinstitutionen, staatlichen Stellen und Behindertenorganisationen aus allen Landesteilen sowie Menschen mit verschieden ausgeprägten Sehbehinderungen. Es wurden drei Sprachen gesprochen, für eine gute Verständigung sorgten vier Übersetzerinnen. Und auch ein Hund gehörte dazu. Nachdem er seine blinde Halterin sicher zum Workshop geführt hatte, döste er geduldig unter dem Tisch vor sich hin.
In den Räumen der Gesundheitlich-Sozialen Berufsfachschule diskutierten rund 25 Personen lebhaft darüber, wie der Zugang zu Weiterbildungen für Sehbehinderte verbessert werden kann. Eingeladen hatte die Arbeitnehmerorganisation Travail.Suisse Formation, die mit dem Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) eine entsprechende Leistungsvereinbarung für die Periode zwischen 2017 bis 2020 abgeschlossen hat.
Kantine als Herausforderung
Im Vorfeld war eine umfassende Kriterienliste verschickt worden, die Anbietern von Weiterbildungen als Leitfaden dienen soll. Ziel des Workshops war es, diese zu überarbeiten. „Gleichzeitig ist die heutige Tagung selber eine Weiterbildung“, sagte Bruno Weber-Gobet, Leiter Bildungspolitik bei Travail.Suisse. „Wir lernen voneinander. Sie müssen uns sagen, was Sie benötigen und wie wir Sie unterstützen können“, appellierte er an die blinden und sehbehinderten Menschen. Ein Übungsfeld bot kurz darauf das gemeinsame Mittagessen in der nahegelegenen Spitalkantine. Auf dem Weg und am Selbstbedienungsbuffet unterstützten die Sehenden ihre sehbehinderten Kollegen und erfuhren hautnah, was für Herausforderungen unsere vorwiegend visuell geprägte Welt für sie bedeutet.
Jede Sehbehinderung ist anders
Manchem wurde auch bewusst, wie verschieden die Bedürfnisse sind: Während Personen mit einem Sehrest vor allem auf grosse Schriften und deutliche Kontraste angewiesen sind, orientieren sich vollständig Blinde an taktilen Strukturen wie etwa Wänden und Bodenrillen oder über das Gehör. Vivien Stadler zum Beispiel merkt man ihre starke Sehschwäche nicht sofort an. Die junge Informatikerin, die im Kunsthaus Zürich arbeitet, bewegte sich sicher im Gebäude und bewältigte den Weg zum Restaurant selbstständig. Doch wenn sie etwas liest, muss sie das Papier ganz dicht unter ihre Brillengläser halten. Man kann sich vorstellen, wie anstrengend das bei längeren Texten ist. Derweil ist Sabine Reist in unbekannter Umgebung auf Hilfe angewiesen. Auf dem Weg vom Bahnhof oder dem Gang zur Toilette hält sich die junge Frau aus Zuchwil am Arm einer sehenden Person fest und lässt sich führen. Im Studium an der Fachhochschule in Olten sei sie darauf angewiesen, dass digitale Dokumente für den Screenreader zugänglich sind und frühzeitig aufgeschaltet werden, erklärt die Studentin der Sozialen Arbeit. „Sonst kann ich mich am Unterricht nicht beteiligen und fühle mich wie auf dem Abstellgleis.“
Digitale und analoge Hindernisse abbauen
Genau solche Hilfestellungen finden sich auf der Kriterienliste für Weiterbildungs-Anbieter. Damit sich auch behinderte Menschen über Angebote informieren können, müssen zuerst einmal die Webseiten mit den Ausschreibungen barrierefrei gestaltet sein. Diesen internationalen Standard erfüllen sie, wenn sie für Menschen mit visuellen, auditiven, motorischen und kognitiven Einschränkungen zugänglich sind. Das Knowhow dafür bieten spezialisierte Organisationen. Weiter gilt es, verschiedene bauliche, infrastrukturelle, digitale und andere Besonderheiten zu beachten, die Behinderten den Besuch eines Kurses erleichtern – von der Anmeldung über die Einführung und den allgemeinen Unterricht bis zu den Unterlagen und Prüfungen.
Nach Bedürfnissen fragen
„Kleinere Bildungsinstitutionen sind gefordert mit all diesen Vorgaben“, äusserte sich Claudia Zürcher, Direktorin der Höheren Fachschule AKAD Business. Es brauche klare Anleitungen sowie Unterstützungsangebote, um den Anforderungen gerecht zu werden. Hilfreich fände sie zum Beispiel kurze Videos, welche die wichtigsten Massnahmen anschaulich erklären. Vereinzelt wurden aber auch Bedenken geäussert, ein allzu langer Anforderungskatalog könnte abschreckend wirken. So plädierte zum Beispiel Matthias Leicht vom Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung eher dafür, dass Institutionen im Bedarfsfall individuell auf die Betroffenen zugehen und sie fragen, was sie brauchen. Diesen Ansatz begrüsste Hervé Richoz, Journalist beim Schweizerischen Blinden- und Sehbehindertenverband: „Manchmal sind es kleine Dinge, die es ausmachen, dass man sich wohl fühlt oder eben nicht.“ Wenn zum Beispiel ein Blindenhund dabei sei, sollte man die Kursteilnehmer aufklären, dass er gut erzogen ist, aber auch mitten im Unterricht mal schnarchen kann.
Das Papier wird nun überarbeitet und erneut verschickt, damit sich alle nochmals dazu äussern können. Weiter möchte Travail.Suisse Formation im Rahmen der Leistungsvereinbarung eine Übersicht der Weiterbildungsangebote erstellen, die sich für Blinde und Sehbehinderte eignen, und zusammen mit dem Schweizerischen Blinden- und Sehbehindertenverband eigene Angebote aufgleisen. Und nicht zuletzt soll die Öffentlichkeit über die Medien besser für die Anliegen der sehbehinderten Mitmenschen sensibilisiert werden.