Das Projekt «Für blinde und sehbehinderte Menschen den Zugang zur öffentlichen Weiterbildung verbessern» strebt eine inklusive Weiterbildungslandschaft in der Schweiz an. Zu diesem Zweck hat Travail.Suisse Formation einen Hintergrundbericht zur Erfassung der aktuellen Situation erstellt. Im Folgenden werden die wesentlichen Inhalte dargelegt.
Das Weiterbildungsgesetz vom 1. Januar 2017 sieht vor, «den besonderen Bedürfnissen von Menschen mit Behinderungen Rechnung zu tragen» (WeBiG, Art. 7) und strebt eine Verbesserung der Chancengleichheit in Bezug auf die Weiterbildung an. Mit dem Hintergrundbericht, den Travail.Suisse Formation im Rahmen des vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) finanzierten Projekts erarbeitet hat, konnte eine Standortanalyse vorgenommen werden. Der Bericht zeigt auf, dass die aktuelle Berufsbildungs- als auch Weiterbildungslandschaft in der Schweiz noch wenig inklusiv gestaltet ist. Für die Erreichung des Ziels der Chancengleichheit besteht weiterer Handlungsbedarf. Dies zeigte sowohl der erste Staatenbericht zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der UNO als auch die schweizerische Forschung.
Inklusive Berichtsrecherche
Der Bericht ist wie die bereits im Juni 2021 veröffentlichte «Kriterienliste zur Verbesserung des Zugangs von blinden und sehbehinderten Menschen zur öffentlichen Weiterbildung» dank der Zusammenarbeit mit betroffenen sehbehinderten und blinden Expertinnen und Experten entstanden. Diese wurden befragt und in die Recherchearbeit einbezogen, auch die Vernetzung mit den verschiedenen Akteurinnen und Akteuren des Blinden- und Sehbehindertenwesens in der Schweiz war zentraler Bestandteil des Projekts.
Behinderung nicht nur beim Individuum verorten
Zunächst gilt es, grundsätzliche Begriffe zu klären. So stellt das noch junge Verständnis von Behinderung die Ressourcen von Menschen mit Behinderungen in den Mittelpunkt, so dass sie nicht mehr allein als Patientinnen und Patienten und Fürsorgefälle angeschaut werden. Die Beeinträchtigung ist nicht lediglich beim betroffenen Menschen zu verorten, sondern auch bei diversen externen Barrieren, die ihn an der gesellschaftlichen Teilhabe hindern. So setzt sich der Begriff Behinderung aus einer biologisch-individuellen als auch einer sozialen Dimension, bei der die äusseren Rahmenbedingungen beleuchtet werden, zusammen. Beide Dimensionen stehen in einer Wechselwirkung zueinander.
Weiter ist darauf zu achten, dass Menschen mit Sehbehinderungen oder Blindheit je nach Ausmass ihrer Sehschwäche als auch aufgrund ihrer persönlichen Biographie (Besteht die Sehbehinderung seit Geburt oder entstand sie erst im Laufe des Lebens? Wie wurde die Person im persönlichen und schulischen Umfeld gefördert?) sehr unterschiedliche Bedürfnisse aufweisen und keinesfalls in einen Topf geworfen werden können. Für Weiterbildungsanbietende gilt es daher primär, diese individuellen Bedürfnisse zu erkennen und entsprechende Lösungen zu entwickeln. Dies beginnt mit der Ausschreibung der Weiterbildungsangebote auf der Webseite in barrierefreier Form, geht über allfällige bauliche Massnahmen, die Gestaltung der Kursinhalte, bei denen Alternativen zu visuellen Kanälen geprüft werden müssen und endet beim Nachteilsausgleich bei Prüfungen, der Prüfungsmodifikationen zur Gewährung der Chancengleichheit ermöglicht.
Besuch von Weiterbildungen
Die aktuelle Forschung zeigt denn auch, dass Personen mit Sehbehinderung nur selten berufliche Weiterbildungen besuchen, obschon erwiesen ist, dass die Teilnahme an einer beruflichen Weiterbildung positiv mit dem Anstellungsgrad korreliert. Für blinde oder sehbehinderte Personen, welche an keiner oder an einer ausschließlich sehbehindertenspezifischen Weiterbildung teilgenommen haben, ist die Chance drei- bis sechsmal geringer, dass sie über eine Vollzeit- oder Teilzeitstelle verfügen. Als wichtigen Grund sehen die Forschenden die Tatsache, dass Angebote der beruflichen Weiterbildung mehrheitlich nicht barrierefrei, also für Sehbehinderte nicht zugänglich sind. Es wird daher empfohlen, dass Anbieterinnen und Anbieter von Weiterbildungsangeboten für Barrierefreiheit und Zugänglichkeit sensibilisiert werden.
Bildungsinstitute für Inklusion gewinnen
Genau hier setzt das Projekt «Menschen mit Sehbehinderung und Blindheit und ihr Zugang zur Weiterbildung» von Travail.Suisse Formation in einer zweiten Projektphase an. Mithilfe der oben genannten Kriterienliste, die als Handbuch mit konkreten Handlungsempfehlungen für Bildungsinstitute zu verstehen ist, soll es nun darum gehen, Weiterbildungsanbieterinnen und -anbieter für inklusivere Angebote zu gewinnen. Zu diesem Zweck arbeitet Travail.Suisse Formation zusammen mit dem Schweizerischen Blinden- und Sehbehindertenverband SBV und dem Verband der Schweizerischen Hochschulen VSV an einem gemeinsamen Projekt. In allen drei Sprachregionen der Schweiz werden Mitarbeitende und Kursleitende der Volkshochschulen auf die Bedürfnisse von sehbehinderten und blinden Personen geschult und in der konkreten Anpassung ihrer Angebote vom Projektteam unterstützt. Auch weitere Bildungsinstitutionen sollen von dem gemeinsam erarbeiteten und erprobten Ausbildungskonzept profitieren können.
Inklusion auch für gehörlose Menschen und Menschen mit Hörbehinderungen
In einem weiteren Projekt widmet sich Travail.Suisse Formation der Frage nach dem Zugang zur öffentlichen Weiterbildung für gehörlose und hörbehinderte Menschen. Zu diesem Zweck wurde eine Partnerschaft mit dem Schweizerischen Gehörlosenbund SGB-FSS geschlossen, denn auch hier sollen die betroffenen gehörlosen und hörbehinderten Menschen in die Projektarbeit einbezogen werden. Die ersten Interviews mit Expertinnen und Experten zeigen bereits: Auch für Menschen mit Gehörlosigkeit und Hörbehinderungen ist die Weiterbildungslandschaft in der Schweiz noch wenig zugänglich. Es zeichnet sich bereits in der ersten Forschungsphase ab, dass hier komplett andere und zugleich vergleichbar schwierige Hürden vorliegen. So zeigt sich, dass der generelle Zugang zu Weiterbildungen über Webseiten und bauliche Massnahmen zwar nicht in einem ähnlichen Ausmass eingeschränkt ist wie für Blinde und Sehbehinderte, doch scheitert es häufig an der Finanzierung von Hilfsmitteln wie Gebärdensprachdolmetscheinsätze oder geeigneten Anlagen, die das Hören und Folgen des Unterrichts für Schwerhörige ermöglichen. Wer eine Weiterbildung mit Hilfsmitteln absolvieren will, muss oftmals grossen Aufwand betreiben, damit dies überhaupt möglich wird und ist dann als Teilnehmerin oder Teilnehmerin der Weiterbildung immer um ein Vielfaches mehr gefordert als Hörende. Im Projekt «Menschen mit Hörbehinderung und Gehörlosigkeit und ihr Zugang zur Weiterbildung» werden daher gemeinsam mit den betroffenen Expertinnen und Experten Hürden und Handlungsmöglichkeiten für die Öffnung der öffentlichen Weiterbildungen ermittelt und mögliche Lösungswege aufgezeigt.