Die Politik hat im Bereich der Weiterbildung eine wichtige Aufgabe wahrzunehmen. Sie soll gemäss Weiterbildungsgesetz WeBiG die Voraussetzungen schaffen, damit allen Personen die Teilnahme an Weiterbildung ermöglicht wird. Dieses Ziel ist aber noch lange nicht erreicht. Es gibt noch zu viele Personen mit fehlendem Zugang zur Weiterbildung. Im Folgenden eine Untersuchung jener Gruppen, die besonders davon betroffen sind.
Wo sind die «weiterbildungsfernen» (1) Personen zu finden? Grundsätzlich können sie aus allen Bevölkerungsschichten und sozialen Gruppen stammen. Statistisch gesehen sind es aber vor allem drei Gruppen, in denen gehäuft «weiterbildungsferne» Personen zu finden sind. Es sind dies
- die Gruppe der Personen ohne postobligatorischen Abschluss;
- die Gruppe der Migrantinnen und Migranten der ersten Generation;
- die Gruppe der Menschen mit Behinderungen.
Alle drei Gruppen sind durch drei statistische Auffälligkeiten geprägt. Sie verfügen über
- eine unterdurchschnittliche Weiterbildungsbeteiligung;
- eine überdurchschnittliche Weiterbildungsabstinenz;
- einen überdurchschnittlichen Bildungswunsch der Nichtteilnehmenden.
Personen ohne postobligatorischen Abschluss
Gemäss Bundesamt für Statistik sind die Personen, welche der Bevölkerungsgruppe «ohne postobligatorischen Abschluss» angehören, in der Weiterbildung stark untervertreten. Nur 40% bilden sich weiter. Bei den Personen mit einem Sek-II-Abschluss hingegen sind es 58% und bei den Personen mit einem Tertiärabschluss sogar 81%.
Interessant ist nun aber zu beobachten, dass nicht nur die Bildungsabstinenz der Personen ohne postobligatorischen Abschluss am höchsten ist, sondern gleichzeitig auch deren Bildungswunsch. 14% der Personen ohne postobligatorischen Abschluss hätten gerne Zugang zu Weiterbildung, den sie heute nicht haben. Dieser Wert ist höher als bei den Vergleichsgruppen «Sekundarstufe II» (9%) und «Tertiärstufe» (4%).
Migrantinnen und Migranten der ersten Generation
Eine zweite Gruppe, die eine unterdurchschnittliche Weiterbildungsbeteiligung aufweist, bilden die «Migrantinnen und Migranten der ersten Generation». Ihre Weiterbildungsbeteiligung beläuft sich nach dem Bundesamt für Statistik auf 54% (ohne Migrationshintergrund 66%; mit Migrationshintergrund zweite Generation 66%).
Auch bei dieser Gruppe, mit unterdurchschnittlicher Weiterbildungsteilnahme, ist der Bildungswunsch stärker ausgeprägt als bei den Vergleichsgruppen.
Menschen mit Behinderungen
Auch die Menschen mit Behinderungen gehören zur Gruppe derjenigen mit einer unterdurchschnittlichen Weiterbildungsbeteiligung, diese beträgt 52% - Im Vergleich zu einer Weiterbildungsquote von 64% der Menschen ohne Behinderungen.
Auch bei dieser Gruppe, mit verminderter Weiterbildungsteilnahme, ist der Bildungswunsch stärker ausgeprägt als bei der Vergleichsgruppe.
Hürden beim Zugang zur Weiterbildung
Es gibt unterschiedlichste Gründe, warum Personen nicht oder wenig an Weiterbildungen teilnehmen. Gemäss dem «Barometer Gute Arbeit» von Travail.Suisse zeigen sich bei der Förderung von Weiterbildung gröbere Diskriminierungen. So wird zwar die eine Hälfte der Arbeitnehmenden in ihren Weiterbildungsbemühungen vom Arbeitgeber unterstützt – die andere Hälfte hingegen gar nicht. Dabei zeigen sich auch grosse Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen von Arbeitnehmenden – damit vergrössert sich die (Bildungs-)Schere laufend. Die beiden grössten Hürden beim Zugang zur Weiterbildung sind Zeit und Geld. Die Vereinbarkeit zwischen Beruf, Familienpflichten, Freiwilligenarbeit und Privatleben ist bereits anspruchsvoll genug – an eine Aus- oder Weiterbildung ist oftmals schlicht nicht zu denken. Die Reduktion des Arbeitspensums ist auch meist keine Option, da nach wie vor keine brauchbaren Stipendiensysteme für Erwachsene bestehen und ein solcher Lohnausfall häufig finanziell nicht zu stemmen ist.
Die Analyse von Travail.Suisse Formation zeigt, dass die genannten drei Personengruppen den Wunsch nach (mehr) Weiterbildung durchaus aufweisen. Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass ihre unterdurchschnittliche Teilnahme an Weiterbildungen nicht auf sie selbst, sondern auf Hürden beim Zugang zum Weiterbildungssystem zurückzuführen ist. Gemäss Weiterbildungsgesetz WeBiG hat die Politik Voraussetzungen zu schaffen, die allen Personen die Teilnahme an Weiterbildung ermöglicht.
Die Arbeiten von Travail.Suisse Formation TSF
Gegenwärtig arbeitet Travail.Suisse Formation TSF an zwei Themenfeldern, um das Weiterbildungssystem für Personen mit unterdurchschnittlicher Weiterbildungsbeteiligung zugänglicher zu machen. Einerseits beschäftigt sich TSF mit dem Zugang von Menschen mit Behinderungen zur Weiterbildung. In den laufenden Projekten erarbeitet TSF Kriterien, die den Weiterbildungsanbietern zeigen, was sie unternehmen können, damit Menschen mit Sehbehinderung und Blindheit oder Menschen mit Hörbehinderung und Gehörlosigkeit an öffentlichen Weiterbildungen teilnehmen können. Gemäss Weiterbildungsgesetz WeBiG sind Bund und Kantone angehalten, «mit der von ihnen geregelten oder unterstützten Weiterbildung insbesondere den besonderen Bedürfnissen von Menschen mit Behinderungen Rechnung zu tragen» (WeBiG Art.8b). Angesichts dieser Gesetzesbestimmung ist es wichtig, dass der Bund und die Kantone diese Ergebnisse zur Kenntnis nehmen und entsprechende Anpassungen ansteuern.
Andererseits hat TSF eine Studie zum Thema «Gesamtarbeitsverträge und Weiterbildung» gestartet. Diese hat zum Ziel, die verschiedenen GAV-Regelungen bezüglich Weiterbildung zu analysieren und insbesondere jene Regelungen darzustellen, welche die Weiterbildung für Arbeitnehmende mit unterdurchschnittlichen Weiterbildungsbeteiligung im Bereich der GAVs besser zugänglich machen. Neben dem Studium der GAVs wird auch das direkte Gespräch mit den paritätischen Kommissionen gesucht zur gemeinsamen Diskussion der Ergebnisse. Auf diese Weise soll es gelingen, die Gruppen mit unterdurchschnittlicher Weiterbildungsbeteiligung mittels Gesamtarbeitsverträge besser in die Weiterbildung zu integrieren.