Inklusiv weiterbilden: Erfolgsfaktoren und Hürden in der Umsetzung
Aktuelle Daten und Analysen zeigen, dass die Schweiz trotz Verpflichtungen und nachgewiesenem Bedarf noch einen weiten Weg zu gehen hat, bevor eine inklusive Weiterbildungslandschaft erreicht ist. Travail.Suisse Formation TSF und der Verband der Schweizerischen Volkshochschulen VSV setzten gemeinsam das Pilotprojekt «Weiterbildung inklusiv» um mit dem Ziel, Weiterbildungsakteurinnen und -akteure darin zu unterstützen, ihre Angebote für Menschen mit Sehbehinderung zugänglich zu gestalten. Die Evaluation des Pilotprojekts fördert die wichtigsten Herausforderungen und Erfolgsfaktoren für inklusive Erwachsenenbildung zutage. Es stellen sich Fragen nach geeigneten, derzeit fehlenden Rahmenbedingungen (Systemebene), nach dem Willen und Mindset zur Inklusion sowie nach Inklusionskompetenzen (Organisations- und individuelle Ebene).
Inklusionsverpflichtung und -bedarf versus Realität
Die gesetzlichen Grundlagen und rechtlichen Verpflichtungen schreiben der Schweiz die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen und die damit einhergehende Beseitigung von Nachteilen vor – sei es bei der Arbeit, beim Zugang zu Informationen, sei es in der Bildung und namentlich in der Weiter- und Erwachsenenbildung. Ziel ist seit 2014 für die Schweiz, gemäss UNO-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), ein inklusives System über alle Bildungsstufen hinweg einzurichten. Im Prüfverfahren von 2022 zeigte sich der Ausschuss der UNO nach wie vor besorgt über eine mangelnde Gesamtstrategie für inklusive Bildung und die hohe Anzahl an segregativen Bildungsmodellen, die die gesellschaftliche Inklusion von Menschen mit Behinderungen in der Schweiz nachhaltig beeinträchtigt (vgl. Committee on the Rights of Persons with Disabilities 2022, S. 11).
Studien und Berichte zeigen, dass wir in der Weiterbildung noch weit entfernt von Inklusion sind: So zeigte der Bildungsbericht 2023 eine deutliche Disparität bei der Weiterbildungsbeteiligung zwischen «nicht eingeschränkten und eingeschränkten» Personen, welche sich in den letzten Jahren kaum verringert hat (vgl. SKBF 2023, S. 357).
Teilnahmehürden aus Sicht von (Nicht-)Teilnehmenden mit Behinderungen
Auch der im September 2023 veröffentlichte Inklusionsindex der Pro Infirmis spricht eine klare Sprache: Zwei von drei Menschen mit Behinderungen in der Schweiz fühlten sich in ihren Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten eingeschränkt. Sie erwähnten folgende Hürden (Pro Infirmis 2023, S. 18):
- finanzielle Gründe
- nicht machbare Anreise
- nicht angepasste Lernbedingungen
- Angst, nicht zu genügen
- fehlende barrierefreie Zugänge
- fehlende Assistenz
- Angst vor sozialer Ausgrenzung
- andere Gründe
Die genannten Hürden machen deutlich, dass Weiterbildungsanbieterinnen und -anbieter eine Schlüsselrolle spielen, wenn die inklusive Weiterbildung vorangetrieben werden soll. Dies gilt insbesondere bei der Anpassung der Lernbedingungen oder barrierefreien Zugängen. Aber auch der Abbau von (vermeintlich) individuellen Hemmungen wie der «Angst, nicht zu genügen» oder der «Angst vor sozialer Ausgrenzung» könnten durch ganzheitlich inklusive Weiterbildungsangebote gefördert werden. Bei den finanziellen Gründen hingegen sind andere Akteurinnen und Akteure angesprochen. So steht etwa eine öffentliche Unterstützung von inklusiven Erwachsenenlernangeboten zur Diskussion, sei es auf Subjekt- oder Angebotsebene.
Weiterbildungsbedarf bestätigt
Der Bedarf an inklusiven Weiterbildungsangeboten auf Seiten der Menschen mit Behinderungen gilt als bestätigt. Bei Menschen mit Sinnesbeeinträchtigungen (Seh- und Hörbehinderungen) zeigen Studien aus der Schweiz, dass Weiterbildungen ein wichtiger Faktor für die berufliche Positionierung sind: So kommt eine Studie zum Arbeitsleben von Menschen mit Sehbehinderung zum Schluss, dass der Besuch von Weiterbildungen, die berufliche Kompetenzen erhöhen, für den beruflichen Erfolg förderlich ist, während die Nichtteilnahme oder die Teilnahme an ausschliesslich behinderungsspezifischen Weiterbildungen sich eher hinderlich auswirken (vgl. Johner-Kobi et al., 2015, S. 40). Auch eine Studie zur Arbeitsmarktsituation von gehörlosen und hörbehinderten Personen von 2020 legt ähnliche Schlussfolgerungen nahe. Hier wird eine Verknüpfung von Weiterbildung und Beförderungsmöglichkeiten geschlossen: Hörbehinderte und Gehörlose weisen in etwa die gleiche Ausbildungsstufe wie gut hörende Menschen auf, sind jedoch vergleichsweise in Führungsfunktionen untervertreten und werden seltener befördert. «Es besteht aufgrund der Barrieren in der beruflichen Weiterbildung die Gefahr, dass Gehörlose/Hörbehinderte von internen Weiterbildungen ausgeschlossen werden» (Hille et al., 2020, S. 28).
Das Pilotprojekt «Weiterbildung inklusiv»
Travail.Suisse Formation (TSF) schrieb sich das Credo «Weiterbildung für alle» seit seiner Gründung 2015 auf die Fahne und setzte mit dem Inkrafttreten des Weiterbildungsgesetzes 2017 ein Projekt zur «Verbesserung des Zugangs von blinden und sehbehinderten Menschen zur öffentlichen Weiterbildung» um. In Zusammenarbeit mit Blinden- und Sehbehindertenverbänden und Menschen mit Sehbehinderungen erarbeitete TSF eine Kriterienliste zuhanden von Bildungsinstitutionen, die ihre Angebote für Menschen mit Sehbehinderungen öffnen wollen (vgl. TSF 2020). Für die BFI-Periode 2021–2024 setzte sich TSF zum Ziel, diese Grundlage umzusetzen, und fand mit dem Verband der Schweizerischen Volkshochschulen (VSV) den geeigneten Kooperationspartner für die Durchführung eines Pilotprojekts. Als dritter Kooperationspartner war wie bereits im Vorprojekt der Schweizerische Blinden- und Sehbehindertenverband (SBV) beteiligt, so dass sehbehindertenspezifisches Fachwissen sowie die Berücksichtigung der Interessen der Menschen mit Sehbehinderung sichergestellt werden konnten.
Im Pilotprojekt wurden in einem ersten Schritt Mitarbeitende von drei Volkshochschulstandorten in die Umsetzung von barrierefreier Weiterbildung eingeführt und geschult. Danach wurden blinde und sehbehinderte Testpersonen an diese Standorte vermittelt, um zu testen, ob die geübten Anpassungen für alle Beteiligten durchführbar, ausreichend und zufriedenstellend waren. Für die Evaluation des Pilotprojekts wurden sowohl bei der Einführungsschulung als auch während der Testphase stets mehrere Perspektiven einbezogen und ausgewertet:
- Administrationspersonal und Kursleitende der Volkshochschulen
- Testpersonen mit Sehbehinderung
- Teilnehmende ohne Sehbehinderung
- Projektteam (Verantwortliche TSF, VSV und SBV)
Erfahrungen bei der Umsetzung der Einführungsschulung
«Das Wichtigste, was ich glaube, gelernt zu haben, ist, die Autonomie und Unabhängigkeit von Menschen mit Sehbehinderung zu respektieren. Sehr oft bevormunden wir sie anstatt ihnen den Raum zu geben, uns zu sagen, was sie brauchen.»
Die Projektpartner planten für die Umsetzung der Kriterienliste eine Einführungsschulung für Kursleitende und Administrationspersonal. In Absprache mit der Interessenvertretung des SBV konzentrierte sich das Pilotprojekt hauptsächlich auf Sprachkurse. Die Teilnehmenden partizipierten freiwillig, so dass ihre individuelle Motivation gewährleistet war.
Die Einführungsschulung beinhaltet 1.) eine Grundsensibilisierung, bei der der SBV mit betroffenen Personen mit Sehbehinderung Formen und Auswirkungen von Sehbehinderungen vermittelt und durch Simulationserfahrungen erlebbar macht, und 2.) ein Transfermodul, bei dem Kursleitende und Administrationspersonal Anpassungen für barrierefreie Kursadministration, -kommunikation und Unterricht erlernen. Die in der Kriterienliste enthaltenen Hinweise wurden präzisiert und mit den Teilnehmenden geübt. Auch Diskussionen, Reflexions- und Fragemöglichkeiten wurden für beide Module ausreichend eingeplant.
Wie die Evaluation zeigte, erachteten die Teilnehmenden den Aufbau der Einführungsschulung als grundsätzlich sinnvoll, wenngleich einige sich gewisse Kürzungen und andere Vertiefungen wünschten. Im Grundsensibilisierungsmodul (1) wurde besonders der Austausch mit Betroffenen geschätzt, welcher auch nachhaltig eine Reflexion über notwendige Anpassungen anstiess, die sich im Transfermodul zeigte. Einen ähnlichen Effekt hatte die Simulation von Blindheit und stark beeinträchtigter Sicht, bei der die Teilnehmenden nachempfinden konnten, wie sich eine Weiterbildung mit Blindheit oder Sehbehinderung anfühlt. «Ich fühlte mich unsicher, teilweise ängstlich, aber erlebte auch beruhigende Gefühle mit Fokus aufs Zuhören», erklärte eine Kursleiterin in Bezug auf diese Simulationserfahrung.
Beim Transfermodul (2) erachteten die Teilnehmenden die vermittelten Grundlagen sowie das Üben der Erstellung barrierefreier Unterlagen als besonders wichtig. Die meisten wiesen hierüber keine oder wenig Kenntnisse auf. So äusserte eine Kursleiterin, die das Erlernte in der Testphase tatsächlich auch umsetzen musste: «Die Schulung war sehr nützlich, insbesondere die Tipps zur barrierefreien Gestaltung von Unterlagen.»
Auch soziale Aspekte wurden anhand von Rollenspielen zu Vorbereitungsgesprächen oder angepassten Weiterbildungssequenzen geübt. Dies ermöglichte wichtige Aha-Momente, bei denen auch Vorurteile abgebaut wurden: «Das Wichtigste, was ich glaube, gelernt zu haben, ist, die Autonomie und Unabhängigkeit von Menschen mit Sehbehinderung zu respektieren. Sehr oft bevormunden wir sie anstatt ihnen den Raum zu geben, uns zu sagen, was sie brauchen.»
Umgang mit dem Aufwand
In den Diskussions- und Reflexionsrunden kam wiederholt der zusätzliche Aufwand zur Sprache, der mit Inklusion einhergeht und inwiefern dieser berechtigt sei oder entschädigt werde. Gerade in der Initialanpassung von Unterlagen und Webseiten entstehen tatsächlich zusätzliche Aufwände. Das Projektteam entschied zur Lösung dieser Frage, den Massstab für Barrierefreiheit nicht zu hoch, sondern auf deren Machbarkeit zu setzen, indem es die wesentlichen Grundsätze, und nicht jedes technische Detail in den Fokus rückte. So wurde zwar aufgezeigt und geübt, wie Unterlagen von Anfang an so aufgebaut werden können, dass sie für alle lesbar sind und welche Barrierefreiheitsgrundlagen von besonderer Bedeutung sind; gleichzeitig wurde immer wieder die Bedeutung der individuellen Haltung in den Vordergrund gerückt. Beispielsweise kann die Zurverfügungstellung eines Alternativtexts bei Bildern und Grafiken von Anfang an eingebaut werden oder aber Kursleitende achten konsequent darauf, diese im Unterricht mündlich zu beschreiben und dadurch nachvollziehbar zu machen, wenn Alternativtexte in älteren, nicht barrierefreien Schulungsunterlagen fehlen. Das Bewusstsein für das Zugänglichmachen von nur visuell verfügbaren Informationen erhält auf diese Weise mehr Gewicht als nach aussen hin «perfekte» Barrierefreiheit, die jedoch im Alltag nicht gelebt wird. Wenn alle Räume mit Brailleschrift angeschrieben sind, im Kurssetting jedoch nicht achtsam mit weiteren bestehenden Barrieren umgegangen wird, nützt die perfekte barrierefreie «Hülle» wenig.
Zusätzlich konnte sich das Projektteam auf die bestehenden Sozialkompetenzen der Kursleitenden und des Administrationspersonals stützen und unterstrich den Grundsatz, Teilnehmende mit Sehbehinderung seien Teilnehmende mit individuellen Bedürfnissen, die im Sinne der Dienstleistungsorientierung bestmöglich zu berücksichtigen sind.
Inklusive Weiterbildungen mit sehbehinderten Testpersonen
«Ich hatte grosses Interesse am Kurs. Jedoch war ich, bevor es losging, doch ein wenig unsicher, ob es wirklich das Richtige für mich sei. Ich stellte mir vor, ich würde den anderen Teilnehmenden hinterherhinken oder sie sogar ausbremsen."
Im Anschluss an die Schulungen suchte das Projektteam nach interessierten blinden und sehbeeinträchtigten Teilnehmenden, die gewillt waren, die geschulten Standorte, deren Angebote nun inklusiv(er) waren, zu testen. Diese Suche erwies sich als herausfordernd, denn das Kursangebot beschränkte sich auf Kurse der inzwischen geschulten Kursleitenden. Auch Hemmungen auf Seiten der Teilnehmenden mit Sehbehinderung spielten eine Rolle: «Ich hatte grosses Interesse am Kurs. Jedoch war ich, bevor es losging, doch ein wenig unsicher, ob es wirklich das Richtige für mich sei. Ich stellte mir vor, ich würde den anderen Teilnehmenden hinterherhinken oder sie sogar ausbremsen. Meine Tochter hat mich ermutigt, dennoch am Kurs teilzunehmen.» Eine weitere Person entschied sich aus ähnlichen Gründen gar, einen Sprachkurs unter ihrem Niveau zu besuchen: «Um sicherzugehen, dass ich mitkomme, habe ich mich entschieden, den Kurs auf einer tieferen Niveaustufe zu besuchen.»
Die Tatsache, dass das Administrationspersonal, das den Erstkontakt mit den Testpersonen herstellte, dank der Einführungsschulung entsprechend einfühlsam auf deren Bedürfnisse einging, half enorm, um die Hemmschwellen bei den Testpersonen abzubauen. Auch die Schnupperlektionen, die in zwei Fällen ermöglicht wurden, trugen dazu bei: «Nach der Schnupperlektion waren meine Ängste verflogen und ich fühlte mich wohl, da [die Kursleitung] sehr gut auf mich einging und die anderen Anwesenden meine Teilnahme positiv aufnahmen.»
Diese von Anfang an geschaffenen positiven Erfahrungen setzten sich im Verlauf der Testphase fort. Die Testpersonen hatten keine negativen Erlebnisse zu vermerken. Auch die gut sehenden Teilnehmenden der gleichen Kurse empfanden die Teilnahme von Personen mit Sehbehinderung mehrheitlich als Bereicherung. Einerseits auf der zwischenmenschlichen Ebene, indem durch diese Begegnung das gegenseitige Verständnis gestärkt wurde: «Der Kontakt zu [der Testperson mit Sehbehinderung] ist für mich sehr wertvoll, denn vorher hatte ich Hemmungen, wenn ich unterwegs auf Menschen mit Sehbehinderung traf.» Andererseits schätzten sehende Teilnehmende gewisse Anpassungen im Kurskontext, beispielsweise das zusätzliche mündliche Buchstabieren von neuen Wörtern oder Begriffen.
Auch die Kursleitenden erlebten den inklusiven Unterricht als bereichernd. Das Planen der Lektionen beanspruchte zwar zusätzliche Zeit. Es galt sowohl die Unterlagen anzupassen als auch bei gewissen Übungen durchzudenken, wie sie mit sehbehinderten Teilnehmenden am besten funktionieren. Das Projektteam nahm wahr, dass die Kursleitenden diese Herausforderung als kreative Challenge erlebten und diese angesichts des positiven Outputs als lohnend erachteten: «Pro Woche [brauchte ich] bis zu doppelt so viel Vorbereitungszeit wie gewöhnlich, aber das ist normal, denn sobald eine neue Person in die Klasse kommt, verbringe ich mehr Zeit damit, mich auf die Bedürfnisse dieser Person vorzubereiten. Es löste Druck aus, eine Person mit Sehbehinderung in der Klasse zu haben, da es für mich Neuland war. Aber die Erfahrung ist unglaublich!»
Haltungsfragen, Umsetzungshürden und positive Nebeneffekte
Seit Durchführung des Pilotprojekts konnten sowohl TSF als auch der VSV weitere Bildungsanbietende sensibilisieren, beraten und schulen. Die im Pilot gewonnenen Erfahrungen wurden hierbei bestätigt und teilweise akzentuiert, wobei insbesondere die Relevanz der individuellen Haltung zum Ausdruck kam.
Vonseiten der Teilnehmenden kam die Frage nach dem Mehraufwand vermehrt auf, besonders wenn die Verantwortung für den Initialaufwand von Anpassungen im Bereich der Barrierefreiheit den Kursleitenden überlassen wurde. Bei Bildungsinstituten, die ihr ganzes Team zur Einführungsschulung verpflichteten (und somit vermutlich weniger intrinsisch motivierte Kursleitende und Administrationsfachpersonen anwesend waren), zeigten gewisse Teilnehmende eine eher ablehnende Haltung. So erklärte ein Teilnehmer einer Einführungsschulung, die Erwartungen betreffend Inklusion seien überzogen und dieses Inklusionsvorhaben sei ohnehin zum Scheitern verurteilt, zumal es zu viel Aufwand koste, der nicht entschädigt werde und damit auch keine inklusivere Gesellschaft erreicht werde. In Ländern, wo man mit inklusiver Bildung schon weiter vorangeschritten sei als in der Schweiz, erkenne man nun, dass es eben doch einfacher und für alle zufriedenstellender sei, wenn separativ beschult werde. Mehrfach wurde auch von positiv gesinnten Teilnehmenden die Einschätzung geäussert, dass der Unterricht doch sicher verlangsamt werde, wenn Menschen mit Sehbehinderung teilnehmen.
Bei der Teilnahme von blinden und sehbehinderten Menschen sehen sich die Kursleitenden zudem mit praktischen, teilweise nicht abschliessend lösbaren Herausforderungen konfrontiert, beispielsweise in A1-Sprachkursen für Migrantinnen und Migranten, bei denen oftmals auf Bilder gesetzt wird, um ein Grundvokabular zu erarbeiten. Die Kursleitenden stellten ihre Innovationsfähigkeit und ihr Engagement in der Suche nach Lösungen jedoch wiederholt unter Beweis. So setzte eine Deutsch-als-Zweitsprache-Lehrerin eine gut sehende Teilnehmerin als freiwillige Assistentin eines blinden Kursteilnehmenden ein. Diese passte (aus eigenem Antrieb) die Unterlagen für die blinde Person vor dem jeweiligen Kurstag an und führte Dialogübungen angepasst mit dieser durch. In diesem Fall zeigte sich auch, dass der Anpassungsaufwand in diesem A1-Sprachkurssetting gross wäre und die Kursleiterin diesen ohne Hilfe kaum hätte bewältigen können.
Eine Rückmeldung anlässlich einer Übungssequenz zeigte, dass es sich für Kursleitende auch lohnen kann, Dokumente barrierefrei zu erstellen, denn häufig vereinfache man dabei die Struktur von Übungsdokumenten. Solche Anpassungen erhöhen die Nutzungsfreundlichkeit auch für andere Teilnehmende: «Es hilft bei der Frage danach, was wirklich relevant ist für die Übung und welche Inhalte im Grunde nicht notwendig sind und gar verwirrend wirken können.»
Die Erfahrungen machten aber auch deutlich, dass es für die Aufrechterhaltung der Motivation von allen Beteiligten wichtig ist, dass auch die Teilnehmenden mit Sehbehinderung sich ihrerseits mit einem gewissen Mehraufwand engagieren und diesen sichtbar machen, indem sie sich die vorgängig zugestellten Unterlagen vor dem Kurstag vergegenwärtigen, damit die Lektion im geplanten Tempo durchgeführt werden kann.
Erfolgsfaktoren und Stolpersteine einer inklusiveren Weiterbildung
Auf der Basis der Erfahrungen, welche bei der Umsetzung des Pilotprojekts und den anschliessenden Schulungen gemacht werden konnten, lassen sich Erfolgsfaktoren, aber auch Stolpersteine für eine inklusivere Weiterbildung auf System- und Organisationsebene sowie auf individueller Ebene festhalten.
Auf Systemebene verortet TSF eine Herausforderung in den fehlenden Rahmenbedingungen für inklusive Weiterbildung: Zurzeit sind private Weiterbildungsinstitutionen in der Schweiz nicht zur Barrierefreiheit verpflichtet, während Barrierefreiheit für private Dienstleistungsangebote in der EU ab Mitte 2025 verpflichtend wird (vgl. European Accessibility Act 2019). Weiterbildungsinstitutionen – auch private und halbprivate – erhalten derzeit zudem keine finanzielle Unterstützung für Massnahmen im Bereich der Barrierefreiheit, zumal der diesbezügliche Gleichstellungsartikel im Weiterbildungsgesetz lediglich auf Bestrebungen abzielt und keinen Umsetzungs- oder Fördercharakter aufweist1. Solange Inklusion allein vom guten Willen von Einzelpersonen, engagierten Kursleitenden und Administrationspersonal abhängt, kann sie auf Systemebene nicht vorangetrieben werden. Selbst wirtschaftliche Argumente für bessere Accessibility wie die Erhöhung der Nutzungsfreundlichkeit, Innovation und Reichweite lösen ohne entsprechende Vorgaben wenig Resonanz aus. Gerade bei kleinen Anbieterinnen und Anbietern sind die Ressourcen, die für den Initialaufwand nötig wären (etwa bei der Einrichtung einer barrierefreien Webseite), begrenzt. Häufig werden von Institutionsleitungen andere Herausforderungen wie Ressourcenmangel und Digitalisierung als prioritär angesehen, so dass die Inklusion von Menschen mit Behinderungen bedauerlicherweise wiederholt nach unten rutscht. Dies zeigt sich auch nach Abschluss des Pilotprojekts an den Volkshochschulen: Jene Kurse, die während der Testphase inklusiv angeboten wurden, werden derzeit erfolgreich weiterhin inklusiv durchgeführt. Eine Ausweitung auf andere Kurse ist zurzeit jedoch nur in Einzelfällen geplant.
Auf Organisations- und auf individueller Ebene legt die ständige Frage nach Aufwand und Ertrag zusätzliche Stolpersteine in den Weg: Es fehlt an einer breit verankerten inklusiven Vision von Weiterbildung, die für alle Teilnehmenden zugänglich ist. Im Zuge der Individualisierung, der zunehmenden Ausrichtung auf immer diversere Bedürfnisse der Teilnehmenden erstaunt es, dass der Einbezug von Menschen mit Behinderungen als zu aufwendig betrachtet wird und deren Inklusion und Teilhabe nicht längst ins allgemeine Mindset Einzug gefunden hat. Wenn Bildungsinstitute Inklusion in die Unternehmensstrategie und -kultur aufnehmen, so ist ein grundlegender Schritt getan. Zudem ist es wichtig, Administrationspersonal und Kursleitende sowohl technisch (Barrierefreiheitsanpassungen) als auch sozial (mit dem Ziel, Berührungsängste abzubauen) zu stärken, damit sie vom Erstkontakt an eine inklusive Weiterbildung anbieten und Offenheit für Teilnehmende mit (Seh-)Behinderung signalisieren können. Sobald diese Basis vorhanden ist, ist eine positive Erfahrung für alle Beteiligten möglich. Eine zusätzliche Begleitung mit fachlicher Unterstützung (z.B. durch Beratung oder Intervision), bei der Einzelfallfragen thematisiert werden können, kann sich zusätzlich nachhaltig positiv auswirken. Wichtig wäre auch, dass das zunehmende Know-how in Bezug auf Teilnehmende mit besonderen Lernbedürfnissen gebündelt und gesichert wird, indem eine Ansprechperson oder Ansprechstelle für Lernende mit (Seh-)Behinderung definiert wird, die diesen internen Informationstransfer sicherstellt (vgl. TSF, 2023, S. 4).
Auch auf Seiten der Menschen mit Sinnesbeeinträchtigung ist Sensibilisierung notwendig. Gerade weil Inklusion oftmals nicht ihrer Alltagsrealität entspricht und sie im Laufe ihrer Bildungslaufbahn auch Exklusionserfahrungen gemacht haben, sind Hemmungen abzubauen. Die enge Zusammenarbeit mit ihren Interessenverbänden hilft, Vertrauen aufzubauen.
Positiv formuliert werden somit (finanzielle) Ressourcen, klare Rahmenbedingungen und Vorgaben sowie eine inklusive Weiterbildungsvision und Inklusionskompetenzen als wichtige Erfolgsfaktoren angesehen. Darüber hinaus geht es darum, mit einem offenen Mindset aufeinander zuzugehen. Wer bereit ist, einen initialen Mehraufwand zur Umsetzung von Inklusion zu betreiben, verbessert seine Prozesse und Angebote nachhaltig.
Ausblick
Inzwischen sind weitere Anfragen für Einführungsschulungen, Beratungen oder Vorträge auf dem Weg zur Umsetzung. Angesichts des Bedarfs an Inklusion müsste die Nachfrage allerdings noch weit grösser sein. Das Thema Inklusion von Menschen mit Behinderungen und besonderen Lernbedürfnissen in der Weiterbildung ist kein Trendthema, sondern wird uns langfristig beschäftigen. TSF und der VSV möchten die inklusive Vision von Weiterbildung weiterentwickeln und «Weiterbildung für alle» in die Umsetzung bringen. Der VSV untersuchte die Weiterbildungsbedürfnisse von Weiterbildungsteilnehmenden über 65 Jahre und veröffentlichte 2023 die «Schweizerische Charta Weiterbildung 65+» (VSV 2023). TSF entwickelte seinerseits in Zusammenarbeit mit Gehörlosen und Menschen mit Hörbehinderung einen Leitfaden und rückte deren Bedürfnisse in den Fokus, nach dem Beispiel der Kriterienliste zum Thema Sehbehinderungen (Travail.Suisse Formation 2023).