Wer barrierefrei kommuniziert, tut damit nicht «allein» Menschen mit (Seh-)Behinderung einen Gefallen. Inklusives Kommunizieren eröffnet bessere Zugänge, erhöht die Reichweite sowie die Nutzungsfreundlichkeit insgesamt. Barrierefreiheit ist daher nicht ein notwendiges Übel, sondern ein Must-have der modernen Kommunikation.
Die digitale Kommunikation gewinnt stetig an Bedeutung. Wir lösen unsere ÖV-Billete über Apps, führen Zahlungen und Bankgeschäfte digital aus, registrieren uns via Internet für Gesundheitsleistungen (Stichwort Impfungen) und wickeln einen Grossteil unserer geschäftlichen, aber auch privaten Kommunikation über Mails und Kurzmitteilungen ab. Die Digitalisierung birgt riesige Chancen für mehr Chancengleichheit und Teilhabe von allen. Damit dies gelingt, muss sie jedoch inklusiv gestaltet werden. Andernfalls riskiert sie im Gegenteil, dass Menschen auf der Strecke bleiben und zunehmend ausgegrenzt werden.
Zurzeit kann von digitaler Inklusion nicht die Rede sein, denn aktuell können 20% der Schweizer Bevölkerung das Internet nur beschränkt nutzen[1]. Wie dies bei Kommunikationsmitteln wie Apps, Mails oder Lernplattformen jeglicher Art aussieht, ist noch wenig bekannt und wird aktuell gerade von der Stiftung Zugang für Alle untersucht[2].
Wer ist von digitaler Ausgrenzung betroffen?
In der digitalen Welt ausgegrenzt werden verschiedene Zielgruppen, die teilweise auch Schnittmengen aufweisen. So zählen beispielsweise Menschen mit mangelnden digitalen Kompetenzen dazu. Gerade Menschen im fortgeschrittenen Alter sind in dieser Gruppe besonders vertreten: Bei den 55- bis 64-Jährigen sind nur 32% digital kompetent, bei den 65 bis 74-Jährigen gar nur 21%[3].
Auch Menschen mit Behinderungen sind teilweise von der digitalen Welt ausgeschlossen. Sie machen rund einen Fünftel (22.5%) der Schweizer Bevölkerung aus[4], Gerade Menschen mit einer Sehbehinderung, die gemäss dem Gesundheitsobservatorium Obsan 6,2% der Schweizer Bevölkerung ausmachen[5], weisen spezifische Bedürfnisse auf, was den Zugang zur digitalen Kommunikation angeht. Aber auch die Bedürfnisse von Personen mit anderen Beeinträchtigungen, beispielsweise Menschen mit einer Hörbehinderung (insbesondere bei der Audio- und Videokommunikation), oder Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen sind zu berücksichtigen.
Zudem weisen längst nicht alle Menschen die notwendigen Lese- und Schreibkompetenzen auf, die für die Nutzung von digitaler Kommunikation von Bedeutung sind. So verfügt jede sechste Person in der Schweiz nicht über die nötigen Lese- und Schreibkompetenzen, um ihren privaten und beruflichen Alltag selbstständig zu meistern[6].
Schliesslich sind auch sprachliche Barrieren zu berücksichtigen, denn bei der Migrationsbevölkerung könnten über ein Viertel sprachlich von der hiesigen Kommunikation ausgeschlossen werden[7].
Umsetzung von Anfang an
Diese Zahlen zeigen: Inklusive Kommunikation ist heutzutage ein Muss, wenn damit ein Grossteil der Bevölkerung erreicht werden soll. Dazu verpflichten uns einige Standards[8] und Rechtsgrundlagen. Wenn man etwa die UNO-Behindertenrechtskonvention[9] ins Visier nimmt, wird klar, dass Inklusion ein breit abgestütztes Commitment verlangt. Auch jene Akteurinnen und Akteure, die (noch) nicht gesetzlich zu barrierefreier Kommunikation verpflichtet sind, können vorbildhaft dazu beitragen.
Wenn diese Argumente nicht zählen, so lässt sich ein Engagement in dieser Richtung auch ganz einfach betriebswirtschaftlich begründen: Für Anbieterinnen und Anbieter birgt inklusive Gestaltung von digitaler Kommunikation ein enormes Potential, denn sie erhöhen damit massgeblich ihre Reichweite.
Wenn man bedenkt, wie viele Menschen von der digitalen Welt ausgeschlossen werden könnten, so gilt es, ein universelles Verständnis von barrierefreier oder eben inklusiver Kommunikation zu entwickeln und dieses in allen Geschäftsprozessen umzusetzen. Ein wichtiger Teil davon ist barrierefreie Kommunikation für blinde und sehbehinderte Menschen. Diese erfordert nämlich nicht nur technische Anpassungen, sondern insgesamt eine Verschlankung von Texten. Diese dient der Usability (Bedienbarkeit) auch für andere Nutzende. Travail.Suisse Formation (TSF) führte 2022 mehrere Schulungen und Sensibilisierungen für Weiterbildungsanbietende durch, zur Umsetzung der «Kriterienliste zur Verbesserung des Zugangs von blinden und sehbehinderten Menschen zur öffentlichen Weiterbildung»[10] Dabei stellten wir fest, dass insbesondere im Bereich der barrierefreien Kommunikation ein grosser Nachhol- und Informationsbedarf besteht. Webseiten sind oftmals nicht barrierefrei zugänglich, aber auch andere Elemente der Kommunikation müssen überdacht werden, beispielsweise Unterlagen wie Rechnungen, Teilnehmendenlisten oder auch einfache Aufgabenblätter.
Konkrete Fragestellungen
Im Kontext der TSF-Schulungen stellen sich beispielsweise folgende Fragestellungen, die einer inklusiven Kommunikation beitragen können: Findet man beim Zugang zu einer Webseite direkt die wesentlichen Elemente, um zur erwünschten Seite zu gelangen? Unterstützt das Design die Informationen oder könnte es eher ablenkend wirken? Ist eine Rechnung so aufgebaut, dass die Kundschaft nachvollziehen kann, warum sie welchen Betrag bezahlen soll oder beinhaltet diese vor allem eine Reihe von für Laien nicht identifizierbaren Nummern und Zahlen? Enthält eine Mailnachricht eine klar erkennbare Betreffzeile und lassen sich die Anhänge anhand ihrer Bezeichnungen zuordnen? Sind Informationsmittel klar formatiert, so dass Titel, Untertitel und Textblöcke als solche erkannt und der Aufbau eines Textes nachvollziehbar ist? Werden bei Audio- oder visuellen Informationen alternative Informationsmöglichkeiten angeboten, damit auch das jeweils andere Sinnesorgan diese Informationen nachvollziehen kann (z.B. durch Alternativtexte, Audiodeskription oder Untertitelung)?
Barrierefreiheit ganzheitlich gedacht
Wenn wir Barrierefreiheit universell denken, dann kommt auch der Faktor Sprache hinzu. Es mag sich lohnen, gewisse Inhalte in weitere Sprachen (neben den Landessprachen) zu übersetzen oder sie zusätzlich in Einfacher oder Leichter Sprache anzubieten. Die eigentliche Kunst besteht darin, komplexe Sachverhalte einfach zu erklären und eine Abgrenzung über umständliche Sprache zu vermeiden.
Für inklusive Kommunikation reicht es nicht, einfache «Hacks» und Rezepte umzusetzen. Sie erfordert ein Umdenken von uns allen.