Die Revision des Behindertengleichstellungsgesetzes ist noch im Gang und im September wurde die Inklusions-Initiative eingereicht, die eine Anpassung der Bundesverfassung verlangt, um die Selbstbestimmungsrechte von Menschen mit Behinderungen besser zu gewährleisten. Im Folgenden ein Überblick über die aktuellen Entwicklungen aus Sicht von Travail.Suisse Formation.
Mit der Teilrevision des Behindertengleichstellungsgesetzes sollen die Rechte von Menschen mit Behinderungen auf Teilhabe am öffentlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben gestärkt werden. Der Bundesrat veröffentlichte Ende 2023 einen Vorentwurf dieser Teilrevision, die Vernehmlassung dauerte bis Anfang April 2024. Zurzeit läuft die Auswertung der Vernehmlassungseingaben und per Ende 2024 ist die Botschaft des Bundesrats vorgesehen.
Inklusion bei Arbeit und Bildung
Auch Travail.Suisse nahm mit Schreiben vom 5. April Stellung zum Vorentwurf des Bundesrats. Travail.Suisse begrüsst insbesondere, dass das revidierte Gesetz eine Ausweitung des Geltungsbereichs auf Arbeitsverhältnisse nach Obligationenrecht vorsieht und damit bei allen Arbeitnehmenden zur Anwendung kommt. Bisher galten diese Bestimmungen allein für das Bundespersonal. In der Formulierung lassen allerdings Mängel an klaren Definitionen – z.B. eine eindeutige Klärung der Frage: wo fängt Diskriminierung und Benachteiligung an? – und der wiederholte Hinweis auf das Prinzip der Verhältnismässigkeit jedoch befürchten, dass sich für den Alltag von Arbeitnehmenden mit Behinderungen wenig ändern wird. Travail.Suisse kritisiert den Mangel an zusätzlichen objektivrechtlichen Verpflichtungen, die zum Ziel haben, den Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderungen insgesamt zugänglicher zu gestalten.
Aus Sicht von Travail.Suisse Formation TSF, einer Organisation der Weiterbildung, die sich in den letzten Jahren intensiv mit Inklusion im Weiterbildungsbereich auseinandergesetzt hat, könnte noch ergänzt werden: Auch im Bildungsbereich fehlt eine Konkretisierung von verbindlichen objektivrechtlichen Verpflichtungen, insbesondere in Bezug auf die benötigten Unterstützungs- oder Ausgleichsmassnahmen für Menschen mit Behinderungen während einer beruflichen Grundbildung, einer Hochschul- oder einer Weiterbildung. Eine tatsächliche Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen im Arbeitsmarkt erfordert auch eine Gleichstellung auf allen Stufen der Bildung.
Digitale Inklusion als Pflicht auch für Private
Im Zusammenhang mit der fortschreitenden Digitalisierung ist zudem die Frage der digitalen Barrieren unter die Lupe zu nehmen. Auch hier gab es in der Schweiz bisher lediglich für öffentliche Dienstleistungen eine Verpflichtung zur Barrierefreiheit. Neu sieht der Entwurf vor, dass auch Dienstleistungen von Privaten den Standards der Zugänglichkeit zu entsprechen haben. Welche minimalen Standards eingehalten werden müssen, wird jedoch erst auf Verordnungsstufe festgelegt werden, so dass unklar ist, wie weitreichend diese Ausweitung auf Private sein wird und inwiefern sie kontrolliert und eingefordert werden kann.
21. November: Nationaler Tag der digitalen Inklusion, Gründung Allianz
Der digitalen Inklusion soll auf der nationalen Agenda mehr Beachtung geschenkt werden. Der 21. November wird dieses Jahr zum «Nationalen Tag der digitalen Inklusion» erklärt. Passend dazu wird die «Allianz Digitale Inklusion Schweiz» lanciert, welche mit Vertreterinnen und Vertretern von Bund, Kantonen, wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren sowie Bildungs- und Forschungsinstitutionen breit abgestützt ist. Sie hat zum Ziel, dass alle Menschen an der digitalen Gesellschaft teilhaben und ihre Vorteile nutzen können. Damit wird die Botschaft vermittelt: Digitale Inklusion und Barrierefreiheit betrifft alle; Menschen mit Behinderungen genauso wie andere Zielgruppen. Auch Menschen mit geringen Lesekompetenzen, Migrantinnen und Migranten, Seniorinnen und Senioren, Armutsbetroffene und viele mehr sind von der Digitalisierung betroffen. Sie müssen bei der digitalen Inklusion mitgedacht werden, damit diese für alle einen Mehrwert bringt. Das Gute ist: Wenn digitale Inhalte barrierefrei zur Verfügung stehen, so sind sie für alle Menschen besser zugänglich. Die in der EU seit Juni 2024 auch für Private geltenden Web Content Accessibility Guidelines WCAG schreiben beispielsweise eine einfache Navigationsstruktur und Auffindbarkeit von digitalen Inhalten vor. Das Hinzufügen von Einfacher und Leichter Sprache, Alternativtexten bei rein visuellen Informationen oder Informationen in Gebärdensprache sind zusätzliche Mittel, um die Zugänglichkeit für alle sicherzustellen.
Inklusionsinitiative
Im September wurde zudem die Inklusions-Initiative mit über 100'000 gültigen Unterschriften eingereicht. Sie hat zum Ziel, die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen zu verbessern und in der Bundesverfassung noch besser zu verankern. Die Initiative ermöglicht zudem eine Sensibilisierung bei der breiten Bevölkerung in Bezug auf Inklusion. Menschen mit Behinderungen machen immerhin rund 20 Prozent der Schweizer Bevölkerung aus.
«Jedes Jahr spürte ich, dass es eigentlich einen Big Bang bräuchte, um den Knoten zu lösen und die Inklusion anders ins Bewusstsein der breiten Bevölkerung zu bringen. Dieses ‚nur so ein Gefühl‘ wurde von Jahr zu Jahr dringlicher.» So beschreibt Islam Alijaj, SP-Nationalrat, seine Beweggründe zur Initiative im Buch «Wir müssen reden: Ein biografisches Manifest.»
Nun gilt es abzuwarten, welche dieser und weiterer Bestrebungen Eingang in die Gesetze finden und wie verbindlich diese formuliert werden. Für Ende 2024 ist die Botschaft des Bundesrats zur Teilrevision des Behindertengleichstellungsgesetzes vorgesehen, ebenso ein Aussprachepapier in Bezug zur Inklusions-Initiative.